Jedes Mitglied lieferte eine Mark und Backsteine

Der Rechtsschutzsaal ist Denkmal der Bergarbeiterbewegung

Ein schlichtes Backsteingebäude in Bildstock verweist auf den Beginn der Bergarbeiterbewegung im Saarland. Mit einer Broschüre erinnert der Stadtverband Saarbrücken an die Geschichte des sogenannten Rechtsschutzsaales oder Saalbaus, in der Hoffnung auf "eine breite Diskussion um die Zukunft" des Hauses. 1991 besteht es 100 Jahre. Sein Bauherr, der "Rechtsschutzverein für die bergmännische Bevölkerung des Oberbergamtsbezirks Bonn" ist zwei Jahre älter.

"Der Anfang war vielversprechend", lobt Otto Hue, Funktionär des Deutschen Bergarbeiterverbandes, den Rechtsschutzverein (RSV) in seiner zweibändigen historischen Darstellung "Die Bergarbeiter" aus dem Jahr 1913. Beflügelt von den Erfolgen ihres Streiks im Mai 1889 schufen sich die Saarbergleute wie die Kumpel im Ruhrgebiet eine Interessenvertretung. Am 28. Juli des Jahres wurde der RSV in Bildstock von gewählten Delegierten gegründet. "Eine gewerkschaftliche Kampfesorganisation war der Rechtsschutzverein damals durchaus nicht, denn was hätte er mit - 50 Pfennig Jahresbeitrag gegen das Unternehmertum im Kampfe ausrichten können!" schränkt Hue ein. Als Vereinszweck bestimmten die Statuten: "Derselbe will die Rechte schützen, welche seinen Mitgliedern sowie deren Hinterbliebenen a) gegenüber der Knappschaftskasse, b) gegenüber den Inspektionen, c) gegenüber der Knappschaftsberufsgenossenschaft zustehen." Das Mittel dafür sei der "güttliche Vergleich", ergänzend "die Führung eines Prozesses, nötigenfalls durch alle Instanzen". Eine Streikkasse sowie Unterstützungseinrichtungen waren nicht vorgesehen. Das Statut entsprach wörtlich dem des 1886 entstandenen "Rechtsschutzvereins für die bergmännische Bevölkerung im Oberbergamtsbezirk Dortmund".

Die Schwestergründung mit Sitz in Bildstock übertrumpfte diesen jedoch. Ende November 1889 waren bereits 6731 Bergleute einschrieben. Ein knappes Jahr später hatte der RSV nach Angaben von Philipp Forster, dem Bürgermeister von Friedrichsthal, 20139 Mitglieder und damit seinen Höchststand erreicht. Der Organisationsgrad betrug damals 68 Prozent, ein Wert, der in Deutschland nur von den Glacéhandschuhmachern übertroffen worden sein soll.

Offiziell gab sich der RSV überkonfessionell und parteipolitisch unabhängig, faktisch dominierten der Katholizismus und in der Frühphase der Einfluß des Zentrums. In der Gründungszeit war der Verleger und Zentrumspolitiker Georg Friedrich Dasbach die graue Eminenz im Hintergrund. Der Verein sei "eine ultramontane Stiftung, gegründet von Herrn Dasbach und einem seiner Konfrater im Sulzbachtal", und beabsichtige "nichts anderes als die Organisation der Arbeiter zu ultramontanen Zwecken, namentlich während der demnächstigen Reichtstagswahl", polemisierte die nationalliberale Saarbrückener Zeitung vom 28. September 1889. Und für Hue stand fest: "Ohne Zweifel war Dasbach an der Vereinsgründung beteiligt, er war der geheime Ratgeber. Daß er die Form eines bloßen Rechtsschutzvereines mit ganzen 50 Pfennig Jahresbeitrag befürwortete, zeigt abermals darauf hin, daß die Klerikalen zwar sehr radikale Worte gegen die Arbeiterunterdrückung fanden, wenn es aber darauf ankam, entsprechende Taten folgen zu lassen, den kapitalistischen Pelz wuschen, ohne ihn naß zu machen." Dasbach selbst schrieb in der St. Johanner Volkszeitung vom 2. Juni 1891: "Den Rechtsschutzverein habe ich gefördert, so lange als er kein Streikverein war."

Tatsächlich wurden Arbeitskämpfe im RSV zumindest in seiner Frühphase überwiegend nicht für eine normale Methode der Konfliktbewältigung gehalten. Auf der ersten Massenversammlung der Organisation erklärte der Vorsitzende Nikolaus Warken: "Durch das Streiken schaden wir dem Fiskus; der Fiskus ist der Staat und der Staat sind wir." Der traditionelle Weg des Petitionismus wurde bevorzugt. Die größten Hoffnungen der Saarbergleute galten dem Kaiser. "Oben will man den Arbeitern wohl, aber unten sind sie nicht gelitten." Diese Erkenntnis von Matthias Bachmann, dem zweiten Vorsitzenden des RSV kennzeichnete die grundsätzliche Haltung des Verbandes treffend. Wenn der Kaiser über ihre Probleme informiert sei, werde er zu ihren Gunsten eingreifen, war das Credo. Vertrauensvoll wendete sich der RSV deshalb einige Male direkt an das Staatsoberhaupt. In einer Bittschrift vom 26. November 1889 heißt es: "Mit schuldiger Ehrerbietung wagen es die unterthänigst unterzeichneten Vorstandsmitglieder des Rechtsschutzvereins der Bergleute im Auftrag von 20000 Vereinsmitgliedern, welche in den fiskalischen Gruben des Saargebietes arbeiten, Ew. Majestät erhabenen Throne zu nahen, um als treu ergebene Unterthanen an Ew. Majestät eine Bitte zu richten, durch deren allergnädigste Erfüllung Tausenden von patriotischen Bergleuten eine große Wohlthat erzeigt und ihre ungeheure Noth gemildert würde... Wir Bergleute wissen, daß Ew. Majestät ein warmes Herz haben für alle Unterthanen und daß der Ärmste und Elendste unter ihnen getrost an Ew. Majestät Thron treten darf, um sein Herz auszuschütten, wenn seine Sache gerecht ist... Wir bitten Ew. Majestät allerunterthänigst, von der Bergbehörde unsere Petitionen vorgelegt zu verlangen und nach Allerhöchstem Ermessen zu richten und zu urtheilen." Wenn Eingaben wie diese nicht das gewünschte Ergebnis brachten, seien untere Instanzen daran schuld, lautete die gängige Erklärung dafür im RSV.

Als die saarländischen Bergleute jedoch einsehen mußten, daß der Petitionismus wenig erfolgreich war, radikalisierte sich der RSV allmählich, identifizierten sich seine Mitglieder zunehmend mit gewerkschaftlichen Methoden zur Konfliktregelung. Am 27. November 1891 erhielt der Verband neue Statuten. Die Beiträge waren schon vorher den wachsenden Aufgaben angepaßt worden.

Das taktische Vorgehen der RSV- Führung war aber nicht gerade glücklich, wie sich besonders beim Streik um die Jahreswende 1892/93 zeigte. Der größte und längste Ausstand an der Saar im 19. Jahrhundert - bei seinem Höhepunkt beteiligten sich 25326 Bergleute, 83 Prozent der Belegschaft - endete mit einem Fiasko, auch deshalb, weil der Zeitpunkt für den Arbeitskampf ungünstig gewählt wurde.

Die Kumpel im Ruhrgebiet hatten die Situation richtig eingeschätzt, sich jedoch nach dem Streikausbruch im Saarland zu Solidaritätsaktionen bereit erklärt, die aber etwas mager ausfielen - es legten schließlich nur knapp 20 Prozent der Ruhrbergleute kurzfristig die Arbeit nieder.

Das Fehlen einer straff geführten gesamtdeutschen Bergarbeitergewerkschaft machte sich bemerkbar. Auf dem Bergarbeiterkongreß in Halle vom 15. bis 19. September 1890 hatten sich die regionalen Organisationen zwar zusammengeschlossen, aber der RSV und die sächsische Bergarbeitervereinigung bestanden weiter. Eine festere Zusammenarbeit wurde auch durch die unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen erschwert. Versuche, den RSV mehr ins sozialdemokratische Fahrwasser zu bringen, waren nicht sehr erfolgreich, obwohl der Einfluß des politischen Katholizismus sich stark vermindert hatte. Bei fortschreitender Radikalisierung machte sich der RSV das Zentrum automatisch zum Gegner.

Der Untergang des RSV hing unmittelbar mit dem gescheiterten Streik um die Jahreswende 1892/93 zusammen. Das Verlassen der Gewerkschaft wurde zur Vorbedingung für die Wiederaufnahme der Arbeit. Bis zu seiner offiziellen Auflösung am 27. August 1896 kümmerte der RSV dahin.

Mit dem Bau des Rechtsschutzsaales setzte sich der RSV selbst ein Denkmal. Zermürbt von der rigiden Behördenpraxis, die gelegentlich von mehreren tausend Bergleuten besuchten Versammlungen zu verbieten oder zu behindern, indem die Wirte unter Druck gesetzt wurden, entschloß sich die Vereinsführung schon früh zur Errichtung eines eigenen Gebäudes. Das Geld dafür wurde durch Spenden und Extra- Beiträge aufgebracht. Am 4. Juni 1890 erklärte der Vorstand: "Von jedem Mitglied soll ein Beitrag von 1 Mark für den Saalbau erhoben werden und soll die Ablieferung des Betrages bis 1. August erfolgen. Außerdem soll jedes Mitglied zwei Backsteine liefern." Der geplante 490 Quadratmeter große Saal sollte 980 Personen fassen. Weil die Behörden die Baugenehmigung zwar nicht versagen, aber wenigstens verzögern konnten, wurde der Grundstein für den Rechtsschutzsaal erst am 10. Mai 1891 gelegt. Über die von mehreren tausend Menschen besuchte Feierstunde notierte ein Berichterstatter der Polizei: "Um 3 Uhr nachmittags übergab der Maurerpolier Roll mit einigen in einiger Entfernung nicht mehr vernehmbaren Worten den mit Bändern geschmückten Hammer an den Präsidenten Warken. Dieser schlug den ersten Hammerschlag, worauf die anderen Vorstands- und Vereinsmitglieder folgten. Bachmann begleitete die Hammerschläge mit den Worten: 'Freiheit, Brot, Gerechtigkeit', während andere Bemerkungen nicht laut wurden." Am 11. September 1892 wurde der Rechtsschutzsaal seiner Bestimmung übergeben. Genau ein Jahr später mußte das Inventar versteigert werden. Am 28. Dezember 1893 wurden Grundstück und Gebäude an den Neunkircher Brauereibesitzer Friedrich Schmidt verkauft. Am 2. Januar 1895 ging der Saalbau an die Königlich Preußische Bergwerksdirektion. Derzeit sind im oberen Stockwerk des Gebäudes Werkswohnungen, im Erdgeschoß Vereinslokale.

Astrid Brand, 1991
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