Streikdrohungen retteten das Besatzungsrecht
Briten führten 1947 die paritätische Mitbestimmung ein
Das Unternehmerangebot kam zu spät. Als die Vorstände der Klöckner-Werke und der Gutehoffnungshütte 1947 der Einheitsgewerkschaft die betriebliche Mitbestimmung anboten, war deren Einführung in einem Teil der westdeutschen Montanindustrie längst beschlossen. Am 1. März 1947 erhielten vier eisenschaffende Werke im Ruhrgebiet zu gleichen Teilen mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Aufsichtsräte. Erst einige Jahre später wurde die paritätische Mitbestimmung durch ein Bundesgesetz gesichert.
Zu Anfang war sie lediglich Besatzungsrecht, verfügt von der britischen Militärregierung, zu deren Zielen auch eine umfassende Neuordnung der deutschen Wirtschaft zählte. Entflechtung und Sozialisierung waren die Schlagworte ihres Programms.
Für dessen Umsetzung gründete die Besatzungsmacht die North German Iron an Steel Control (NGISC). Bis zum 1. März 1947 ließ diese die Eisen- und Stahlwerke Haspe, den Hörder Verein in Dortmunds gleichnamigen Stadtteil, das Werk Bochum der Eisen- und Hüttenwerke Bochum und das Hüttenwerk der Gutehoffnungshütte in Oberhausen aus den alten Konzernbindungen lösen und als selbständige Aktiengesellschaften neu gründen. In den Aufsichtsräten der Firmen hatten die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite gleichviele Sitze. Die Treuhandverwaltung, eine Dienststelle des NGISC, stellte je ein weiteres "neutrales" Mitglied. Den Vorständen gehörten sogenannte Arbeitsdirektoren an, die nicht gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten berufen werden konnten. Bernhard Weth, Wilhelm Schäfer, Wilhelm Wagner und Karl Strohmenger waren die ersten auf solchen Chefposten. In Gesprächen mit Gewerkschaftsführern hatte sich die NGISC auf diese Form der Mitbestimmung festgelegt.
Die Unternehmerseite erfuhr die genauen Neuordnungspläne erst im Januar 1947. Sofort boten einige von ihnen der Einheitsgewerkschaft an, den Arbeitnehmern freiwillig Mitbestimmungsrechte einzuräumen; verbunden war diese Offerte mit dem Wunsch nach Unterstützung gegen die Entflechtungspolitik der Alliierten.
Diese hatten sich im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 auf die Zerschlagung der großen Konzerne geeinigt. Die Hoffnung, auf diese Weise die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu schwächen, mag dabei eine Rolle gespielt haben. Die Briten verlangten zudem die Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Einen Grund dafür nannte der britische Außenminister Ernest Bevin am 22. Oktober 1946 vor dem Unterhaus: "Sie (die Schlüsselindustrien) waren früher in der Hand von Wirtschaftsmagnaten, die eng mit der deutschen Militärmaschine verbunden waren, die Hitler finanzierten und in zwei Kriegen an der deutschen Aggressionspolitik maßgeblich Anteil hatten. Wir haben nicht den Wunsch, diese oder ähnliche Herrschaften zu Positionen rückkehren zu sehen, die sie mit solch tragischen Resultaten mißbraucht haben. Es ist unsere Ansicht, daß die öffentliche Hand in Zukunft diese Industrien besitzen und kontrollieren sollte."
Doch diese Vorstellung konnte die britische Regierung nicht mehr verwirklichen. Nach der Gründung der Bizone am 1. Januar 1947 bestimmten die US- Amerikaner den Kurs und das bedeutete: Wiederherstellung privatkapitalistischer Verhältnisse in der gesamten Wirtschaft. Die Regierung des bei den USA hochverschuldeten Großbritannien leistete sich nur wenig Widerstand gegen die Politik des Gläubigers. Aber immerhin bekamen bis zum 1. April 1948 insgesamt 25 von den Altkonzernen abgetrennte Unternehmen die paritätische Mitbestimmung.
Versuche von Länderregierungen, durch eigene Gesetze Industrien zu sozialisieren und die betriebliche Mitbestimmung auszuweiten, wurden von der amerikanischen Besatzungsmacht abgeblockt. Entscheidungen von so weitreichender Bedeutung sollten einer gesamtdeutschen Regierung vorbehalten werden.
Nach der Gründung der Bundesrepublik hatte es ihr Kanzler Konrad Adenauer allerdings nicht sehr eilig, die betriebliche Mitbestimmung gesetzlich zu regeln. In der Regierungskoalition lagen die Meinungen darüber weit auseinander. Der Mehrheitsbeschaffer FDP und große Teile der CDU/CSU machten sich die Unternehmeransicht zu eigen. Andererseits mußte Adenauer ein Bündnis zwischen dem Arbeitnehmerflügel seiner Partei und der oppositionellen SPD zu Sicherung und Ausbau der Mitbestimmung fürchten. Der "schlaue Fuchs", wie Adenauer gelegentlich genannt wurde, hoffte und wartete deshalb auf einen Kompromiß zwischen Unternehmerlager und Gewerkschaften, den die Parlamentarier hätten übernehmen können.
Gespräche der beiden Gruppen brachten jedoch keine Einigung. Die Arbeitgeberseite setzte auf die Zeit.
Schließlich ließen sich die Gewerkschaften nicht länger hinhalten. Am 29. und 30. November 1950 wurden die IG Metall-Mitglieder in der Eisen- und Stahlindustrie zur Urabstimmung an die Urnen gebeten. Von 201 517 Arbeitern und Angestellten erteilten 95,9 Prozent dem Vorstand der Gewerkschaft die Vollmacht, zur Verteidigung und zum Ausbau der paritätischen Mitbestimmung einen Streik auszurufen.
Adenauer reagierte auf die Kampfansage mit rechtlichen Argumenten: In einem Brief vom 14. Dezember des Jahres belehrte er den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böckler: "In einem demokratischen Staatswesen kann es einen Streik gegen die verfassungsmäßigen Gesetzgebungsorgane nicht geben. Das Koalitionsrecht, auf das Sie sich berufen, sichert nur das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden." In seinem Antwortschreiben vom 29. Dezember 1950 hielt ihm der DGB-Mann entgegen: "Die Verfassung eines demokratischen Staates sichert jedem Bürger - also auch dem Arbeitnehmer - bestimmte Rechte und Freiheiten zu. Dazu gehört aber auch die Freiheit des Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung unter einer Wirtschaftsordnung zu verweigern, die seiner Stellung als freiem Bürger eines demokratischen Staates nicht entspricht. Wenn also die Arbeitnehmerschaft durch ihre Gewerkschaften erklärt, daß sie nur noch einer Wirtschaft ihre Arbeitskraft zu Verfügung stellen will, in der an Stelle des oligarchischen Zustandes der Herrschaft einer Minderheit demokratische Verhältnisse eingeführt worden sind, dann macht sie lediglich von dem ihr zustehenden Recht Gebrauch. Sie leistet damit auch dem Gedanken der Demokratie eher einen Dienst als jene Kreise, die immer dann vorgeben, für die Demokratie zu kämpfen, wenn es gegen die Interessen der schaffenden Menschen geht."
Die Arbeitnehmervertretungen ließen sich durch die juristischen Einwände Adenauers nicht beirren. Am 3. Januar 1951 beschlossen Vorstand und Beirat der IG Metall Arbeitsniederlegungen in den Werken der eisenschaffenden und stahlerzeugenden Industrie ab dem 2. Februar, falls bis dahin über die Regelung des Mitbestimmungsrechtes nicht im Sinne der Gewerkschaften entschieden würde. Kurz darauf weitete sich der Konflikt um die Rechte von Arbeitnehmervertretern im Betrieb auf den Bergbau aus, in dem es bis dahin keine paritätische Mitbestimmung gab. Vom 17. bis zum 19. Januar gingen 485 273 Gewerkschaftsmitglieder im Stein- Braun- und Pechkohlenbergbau, im Erzbergbau sowie in der Kali- und Steinsalzindustrie an die Urnen. 92,8 Prozent votierten in der Urabstimmung der IG Bergbau für einen Streik zur Unterstützung der gewerkschaftlichen Forderungen. Unter dem Druck der drohenden Arbeitsniederlegungen schaltete sich Adenauer als Vermittler zwischen der Unternehmerseite und den Gewerkschaften ein. Mit Erfolg. Der Kompromiß wurde dann durch das "Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie" vom 21. Mai 1951 parlamentarisch besiegelt. Seine Bestimmungen entsprechen im wesentlichen den Mitbestimmungsregelungen nach Besatzungsrecht. CDU/CSU, SPD und Zentrum stimmten dafür. Als einen "großen Fortschritt auf dem Wege der sozialen Befriedung" bezeichnete der Bundeskanzler den Gesetzentwurf in der ersten Lesung. Und er verteidigte den Standpunkt seiner Partei damals mit dem Hinweis auf die Geschichte: "Diese Sonderregelung, die ... für Kohle und Eisen getroffen werden soll, begrenzt sich nach den geführten Verhandlungen auf diese beiden Gebiete. Es scheint mir auch - das möchte ich in der Öffentlichkeit ebenfalls betonen - richtig zu sein, wenn man bezüglich des Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmer Kohle und Eisen einer Sonderregelung unterwirft. Ich glaube, daß das in der geschichtlichen Entwicklung der ganzen Angelegenheit begründet ist, und zwar einmal in den Spannungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet - und um dieses handelt es sich ja in der Hauptsache - vorhanden gewesen sind; aber es erscheint mir auch deswegen begründet, weil unter der Herrschaft der Alliierten die Arbeitnehmer in der eisenschaffenden Industrie schon seit 1947 Rechte eingeräumt bekommen hatten, von denen sie im allgemeinen - auch das lassen sie mich hier sagen - einen durchaus verständigen und maßvollen Gebrauch gemacht haben."
Astrid Brand, 1987
Verwendung nur mit Zustimmung der Autorin