Im Jahr 1889 wurde er begründet - der 1. Mai als Kampf- und Feiertag. Hochs und Tiefs der Arbeiterbewegung, die inzwischen eigentlich korrekter "Arbeitnehmerbewegung" heißen sollte, prägten auch ihn. Die Chronik verzeichnet die Etappen seiner Entwicklung in Deutschland.
20. 7. 1889
In Paris beschließt ein internationaler Arbeiterkongreß, der die Zweite (Sozialistische) Internationale gegründet hat, weltweite Kundgebungen für den Acht-Stunden- Arbeitstag und andere Forderungen des Kongresses. Als Datum wird der 1. Mai 1890 festgelegt.
1. Mai 1890
Im Deutschen Reich gilt noch das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" von 1878, mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck die Arbeiterbewegung vernichten will, indem er sie weitgehend in die Illegalität drängt. Um keine erneute Verlängerung des gesetzlichen Knebels zu provozieren, hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion von einer allgemeinen Arbeitsruhe am 1. Mai 1890 abgeraten. In einigen Städten setzt sich die Parteilinie nicht durch, Zehntausende legen die Arbeit nieder und demonstrieren, viele von ihnen werden deshalb zeitweise ausgesperrt. In Hamburg hat der Streik katastrophale Folgen. Die Unternehmer reagieren mit Massenaussperrungen. Der Konflikt eskaliert und zieht sich über Wochen hin. Die Kassen der Gewerkschaften sind am Ende trotz eindrucksvoller Solidaritätsaktionen leer und die Mitgliederzahlen stark geschrumpft.
16./17. 11. 1890
Auf einer Konferenz in Berlin entsteht die "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" als Dachorganisation der sogenannten "freien" (sozialistischen) Gewerkschaften.
4. 2. 1891
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion empfiehlt in einem Aufruf, "die Maifeier am ersten Sonntag im Mai zu begehen und weiter dahin zu wirken, daß auch für die Zukunft der gleiche Tag festgehalten wird".
1. Mai 1891
Keine Arbeitsruhe in Deutschland, aber Versammlungen. Die eigentlichen Maikundgebungen am folgenden Sonntag verzeichnen Massenandrang.
23. 8. 1891
Auf einem Kongreß der Zweiten Internationale in Brüssel wird beschlossen: "Der erste Mai ist ein gemeinsamer Festtag der Arbeiter aller Länder, an dem die Arbeiter die Gemeinsamkeit ihrer Forderungen und ihre Solidarität bekunden sollen."
11.-16. 10. 1896
Parteitag der SPD in Gotha. In einer dort verabschiedeten Resolution erklären die Delegierten, daß die Sozialdemokratie den 1. Mai feiert "als das Weltfest der Arbeit, gewidmet den Klassenforderungen des Proletariats, der Verbrüderung und dem Weltfrieden. Als würdigste Feier des 1. Mai betrachtet die Partei die allgemeine Arbeitsruhe. Der Parteitag macht es daher den Arbeitern und Arbeiterorganisationen zur Pflicht, neben den anderen Kundgebungen für die allgemeine Arbeitsruhe am 1. Mai einzutreten, und überall da, wo die Möglichkeit der Arbeitsruhe vorhanden ist, die Arbeit am 1. Mai ruhen zu lassen."
1. Mai 1901
Die Beschäftigten des Unternehmens Carl Zeiss Jena haben ab elf Uhr frei, erhalten aber Lohn für den ganzen Tag. Im Jahr vorher wurde dort der achtstündige Arbeitstag eingeführt.
1. Mai 1906
Mehr Menschen als je zuvor beteiligen sich an den Kundgebungen des Tages. Allein in Berlin sind etwa 115 000 Beschäftigte zeitweise nicht an ihrem Arbeitsplatz. Reichsweit werden ungefähr 49 000, die ihre Arbeit niederlegten, danach von den Unternehmern ausgesperrt.
1. Mai 1914
Die Beteiligung an den Maifeiern ist geringer als in den Jahren zuvor. Eine relativ ungünstige Arbeitsmarktsituation trägt dazu bei. Weil die Maikundgebungen seit 1910 besonders eindrucksvoll ausgefallen waren, wird sogar von einem "schmerzvollen Absterben" gesprochen.
28. 6. 1914
Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo. Das Attentat löst den Ersten Weltkrieg aus.
1. Mai 1915
Es gibt nur kleinere informelle Maifeiern in Deutschland. SPD und Gewerkschaften haben nicht zu Kundgebungen aufgerufen und den Verzicht auf Arbeitsniederlegungen empfohlen.
1. Mai 1916
Die von ehemaligen Mitgliedern der SPD gegründete Spartakusgruppe hat mit illegalen Plakaten und Flugblättern zu Demonstrationen aufgerufen. In mehreren Städten kommt es zu Kundgebungen. Die größte ist in Berlin, wo sich am Abend vielleicht 10 000 Menschen versammeln. "Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" mahnt der bekannte Antimilitarist Karl Liebknecht, der wegen der Demonstration, die er mitorganisiert hat, zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wird. In Braunschweig streiken in einigen Betrieben die Jungarbeiter wegen des sogenannten Sparzwangerlasses des Kommandierenden Generals, der bestimmt, daß ihnen von ihrem wöchentlichen Lohn nur die Summe von 16 Mark ausgezahlt und der Rest von den Militärbehörden zur Finanzierung der Rüstungsproduktion verwendet werden soll. Am 5. Mai beenden sie ihren Streik mit einem Sieg.
1. Mai 1917
Die Spartakusgruppe hat wieder für Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen geworben. Ein Aufruf der SPD und der Generalkommission der Freien Gewerkschaften hat die Mitglieder gebeten, auf die Arbeitsruhe zu verzichten. Nur wenige folgen den Parolen der Spartakisten.
3. 11. 1918
Mit einem Aufstand der Matrosen in Kiel beginnt die sogenannte Novemberrevolution. In vielen Städten bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte.
9. 11. 1918
Kaiser Wilhelm II. dankt ab. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus.
11. 11. 1918
Abschluß des Waffenstillstandes mit Deutschland.
15. 4. 1919
Die Weimarer Nationalversammlung beschließt mit einem Gesetz, den 1. Mai 1919 als allgemeinen Feiertag zu begehen. In den folgenden Jahren scheitern Vorstöße, ihn reichsweit als gesetzlichen Feiertag zu etablieren. Erfolgreich ist man nur in einigen Ländern: in Braunschweig (hier wird er 1931 wieder abgeschafft), in Hamburg, Lübeck, Sachsen und Schaumburg-Lippe.
1. Mai 1919
Während im übrigen Deutschland gefeiert wird, kommt es in München zu einem Blutbad mit mehr als 1000 Toten. Reichstruppen zerschlagen die Bayerische Räterepublik, die am 7. April proklamiert wurde. An ihrer Spitze standen zunächst die Anarchisten, die aber schon nach sechs Tagen von den Kommunisten entmachtet wurden.
28. 6. 1919
Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten in Versailles.
30. 6.-5. 7. 1919
In Nürnberg tagt ein Kongreß der Freien Gewerkschaften. Sie sind die stärkste gewerkschaftliche Richtung in der Weimarer Republik. Politisch stehen sie der SPD nahe. Auf dem Kongreß wird die Generalkommission in den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) umgewandelt.
1. Mai 1920
Die Maifeiern in der Weimarer Republik werden durch die Spaltung der Arbeiterbewegung geprägt. Sozialdemokraten, Kommunisten und andere politische Richtungen veranstalten mit den ihnen nahestehenden Gewerkschaften meistens eigene Kundgebungen und Demonstrationszüge.
1. Mai 1929
Die Spannungen zwischen SPD und KPD haben sich verschärft. In Berlin hat der sozialdemokratische Polizeipräsident Karl Zörgiebel aus Furcht vor Ausschreitungen ein Demonstrationsverbot verhängt. Trotzdem folgen Tausende von Menschen dem Aufruf der Kommunisten zu Protestkundgebungen. Es wird geschossen, von Polizisten und bewaffneten Demonstranten. Die Bilanz der Straßenkämpfe: 31 Tote und Hunderte Verletzte. Der Berliner "Blutmai" vertieft die Gräben zwischen den unterschiedlichen Richtungen der Arbeiterbewegung noch.
1. Mai 1932
In Bernau bei Berlin feiern Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten an diesem Tag gemeinsam. Die moskautreue KPD wird deshalb von den sowjetischen Brüdern gerügt.
30. 1. 1933
"Machtergreifung" der Nationalsozialisten. Ihr "Führer" Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt.
10. 4. 1933
Per Gesetz wird der 1. Mai zum bezahlten "Feiertag der nationalen Arbeit".
1. Mai 1933
Die Nazis haben ein gigantisches Massenspektakel organisiert. Gewerkschaften und Arbeiterparteien, die ehemaligen Träger des Maifeiertages, sind von der Gestaltung der offiziellen Kundgebungen ausgeschlossen. In zahlreichen Orten finden illegale Feiern und Aktionen statt - wie auch in den weiteren Jahren der Naziherrschaft. Viele Gewerkschafter und Mitglieder der Arbeiterparteien "feiern" den 1. Mai im "Dritten Reich" hinter den Mauern von Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern.
2. 5. 1933
Gewaltsam übernehmen die Nationalsozialisten die Freien Gewerkschaften. Die Gewerkschaftshäuser werden gestürmt, Funktionäre verhaftet, viele gefoltert, einige ermordet.
27. 2. 1934
Ein Gesetz macht den 1. Mai zum "nationalen Feiertag des deutschen Volkes".
1. 9. 1939
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
1. Mai 1945
In den von ausländischen Truppen besetzten Gebieten Deutschlands können Gegner des Naziregimes in kleinen Kreisen ohne Angst vor brutaler Verfolgung den 1. Mai in der Tradition der Arbeiterbewegung feiern. Maikundgebungen werden aber von den Alliierten behindert.
7./9. 5. 1945
In Reims und in Berlin-Karlshorst wird die deutsche Gesamtkapitulation unterzeichnet.
9.-11. 2. 1946
Auf einem Kongreß in Berlin wird der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) für die sowjetische Besatzungszone gegründet. Er präsentiert sich als überparteilich, wird aber von den Kommunisten beherrscht. Auch in den Westzonen entstehen Einheitsgewerkschaften. Dort ist den Gewerkschaftern bei der Gründung von Organisationen jedoch ein zeitraubender "Aufbau von unten nach oben" vorgeschrieben worden.
1. Mai 1946
Mit großen Maikundgebungen wird im befreiten Deutschland die Tradition des Kampf- und Feiertags der Arbeiterbewegung wieder aufgenommen.
1. Mai 1948
In Berlin hat sich eine Opposition gegen die Kommunistenherrschaft im FDGB gebildet. Es finden zwei Kundgebungen statt, der Bundesvorstand versammelt eine halbe Million Menschen um sich, die Opponenten ziehen 150 000 an.
23. 5. 1949
Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die damit gegründet wird.
7. 10. 1949
Gründung der Deutschen Demokratischen Republik.
12.-14. 10. 1949
In München tagt ein Kongreß, auf dem sich die Gewerkschaftsbünde der amerikanischen, britischen und französischen Zone am 13. Oktober zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für das Gebiet der Bundesrepublik zusammenschließen.
1. Mai 1950
In Berlin (West) feiern ungefähr 600 000 Menschen auf dem Platz der Republik. In Berlin (Ost) ziehen etwa 800 000 an der Ehrentribüne im Lustgarten vorbei. Am selben Tag tritt in der DDR das "Gesetz der Arbeit" in Kraft, das unter anderem ein Recht auf Arbeit zusichert.
1. Mai 1955
Der DGB verkündet das erste gewerkschaftliche "Aktionsprogramm". Seine Hauptforderungen sind: Kürzere Arbeitszeit ("Fünftagewoche bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich mit täglich achtstündiger Arbeitszeit"), höhere Löhne und Gehälter, gesicherte Mitbestimmung, verbesserter Arbeitsschutz.
Astrid Brand, 1989
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